2017, 2018, 2019… In den vergangenen Jahren folgt ein spektakulärer Überfall auf gepanzerte Geldtransporter auf den anderen, jeweils mit viel Gewalt. Doch 2020 ist Ruhe. Das Konzept Armed Jewellery Robberies (AJR+) zur Bekämpfung von organisierten Banden bewährt sich.
Mehrere Fahrzeuge mit französischen Nummernschildern rasen auf die Schweizer Grenze zu und durchbrechen die Zollschranken. In den Boliden sitzen schwer bewaffnete Männer. Ihr Ziel: auf Schweizer Boden einen Geldtransporter überfallen. Der Modus Operandi «à la Française» ist immer derselbe: Transporter abpassen, einkeilen und mit Kriegswaffen bedrohen, die Tür zum Laderaum aufsprengen, die Beute holen, das Fahrzeug in Brand setzen – und ab Richtung Frankreich. Was die Täter nicht wissen: Diesmal werden sie es sein, die abgepasst und eingekeilt werden. Und zwar von französischen Polizeibeamten.
Die Verbrecher sind Profis im Überfallen von gepanzerten Fahrzeugen, die Geld oder Wertsachen transportieren. Sie gehören kriminellen Banden aus den Vorstädten von Lyon an. Seit einigen Wochen schon kundschaften sie die Örtlichkeiten in der Schweiz aus. Nun steht alles bereit: die gestohlenen Fahrzeuge, die Logistik vor Ort, Informationen über die Strecke des Transporters. Die Beute lockt: mehrere Millionen Franken.
Nur noch wenige Minuten bis zum Überfall. Die Nerven liegen blank: Die Täter fahren zum Ort, wo der Überfall stattfinden soll. Andere Wagen kommen ihnen entgegen. Kein Transporter in Sicht. Minute um Minute vergeht – nichts. Haben sie ihr Zielobjekt verpasst? Schliesslich geben sie auf.
Zurück in Frankreich werden sie von nationalen Polizeikräften erwartet. Eine verhinderte Tat wie diese ist weniger spektakulär als ein Überfall. Hinter einer solchen Operation verbergen sich monatelange Ermittlungen und eine intensive Zusammenarbeit zwischen fedpol, der französischen Nationalpolizei und den Kantonspolizeien. Die Kooperation hat einen Namen: AJR+.
ARJ steht für «Armed Jewellery Robberies», eine 2014 gestartete Strategie zur Bekämpfung von Raubüberfällen auf Bijouterien. Die Strategie umfasst drei Phasen: Als Basis der Kooperation tauscht fedpol mit seinen ausländischen Partnerbehörden (Polizeibehörden, INTERPOL oder Europol) und den Kantonen zunächst Informationen aus. In einem zweiten Schritt macht fedpol eine Feinanalyse der Situation und identifiziert das Netzwerk, dem die Kriminellen angehören. Diese Analyse liefert die Grundlage, um eine operative Strategie für die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Partnerbehörden zu erstellen. So wird etwa festgelegt, wem der Erstzugriff vor Ort zukommt, wenn die Kriminellen zur Tat schreiten. fedpol kann in Absprache mit der Bundesanwaltschaft (BA) rasch erste Ermittlungen durchführen (gemäss Art. 27 Abs. 2 der Strafprozessordnung) und operativ eingreifen. Die Methode bewährt sich im Kampf gegen Raubüberfälle auf Bijouterien. Deshalb wurde sie für den Kampf gegen Überfälle auf Panzerwagen angepasst und zur Strategie AJR+ weiterentwickelt. Unternehmen, die potenzielle Opfer solcher Überfälle sind, arbeiten eng mit der Polizei zusammen. Damit gelingt es, so manche Straftat zu verhindern.
fedpol bleibt wachsam, denn die Straftaten werden brutaler. Organisierte Banden aus Frankreich begehen vor allem Raubüberfälle und sind im Drogen- und Waffenhandel aktiv. Die Schweiz ist für sie und ihre Geschäfte ein Eldorado. Ihr Ziel: Beute in Form von Geld, Autos, Waffen. 2020 berichten die Medien von Überfällen und Waffenraub in zwei Deutschschweizer Kantonen. Von Feuergefechten und einem Verletzten. Über 200 Waffen sind verschwunden. Bei polizeilichen Ermittlungen in Frankreich tauchen wenig später einige der gestohlenen Schweizer Waffen wieder auf. Grosse Raubüberfälle lösen die kleinen Coups der 2000er Jahre ab. Die Kriminellen sind vernetzt; es droht die Durchlässigkeit hin zu extremistischen und sogar terroristischen Kreisen. Die Ruhe, die fedpol 2020 erlebt, wird sehr wahrscheinlich nicht von Dauer sein. Zusammenarbeit und Kooperation bleiben die wichtigsten Schlüsselelemente im Kampf gegen die transnationale Kriminalität.